Expedition Kanelbullar: Kvikkjokk bis Hemavan

Satt und zufrieden schlendern wir durch das nächtliche Hemavan. Wir haben ein Abendessen in einer ausgezeichneten Pizzeria genossen und sind nun auf dem Weg zurück in unsere Unterkunft. Hemavan erreicht zu haben, zu Fuß vom Nordkap, erfüllt uns ein wenig mit Stolz und wir sind in Feierlaune. Mehrere Meilensteine haben wir mit unserer Ankunft bzw. in den Tagen davor erreicht: In Hemavan haben wir das südliche Ende des Kungsleden erreicht. Wir sind insgesamt 1250 Kilometer gewandert. Wir haben den Polarkreis überschritten. Wir haben Norrbottens län, die nördlichste und größte Provinz Schwedens durchquert. Und: wir sind immer noch bestens aufgelegt und motiviert weiter zu gehen.

Kvikkjokk nach Hemavan, 27. August bis 9. September

Anfangs wollten wir noch nicht so recht glauben, dass die ersten verfärbten Birkenblätter schon den Herbst einläuten, aber nun ist es nicht mehr zu leugnen: Der Herbst ist da! Und er ist hier im schwedischen Fjäll so wunderschön und bunt, wie wir ihn noch nie erlebt haben. Ein eindrucksvolles Farbenspektakel, an dem wir uns einfach nicht sattsehen können – die vielen Bilder, die wir mit euch teilen, lassen euch wohl erahnen wie begeistert wir sind! Oft hatten wir den Eindruck mitten durch ein Kunstwerk zu wandern, bei dem sich die Künstlerin, nämlich Mutter Natur, bei ihrer Farbwahl so richtig ausgetobt hat: Brennend rote Heidelbeerbüsche, ockerfarbene Sümpfe, Birkenwälder in allen Schattierungen von grün, gelb und braun, orangefarbene Zwergbirkenblätter, sonnengelbe Gräser… und als Kontrast dazu ein strahlend blauer Himmel und ebenso kräftig blaue Seen. Gleichzeitig erleben wir die Hochsaison der Pilze und der Beeren. Immer wieder legen wir „Pflückpausen“ ein, naschen Heidelbeeren und sammeln welche für unser nächstes Frühstück – Brei mit Heidelbeeren schmeckt einfach großartig. Auch die Preiselbeeren beginnen nun reif zu werden und wir haben uns schon an improvisierter Marmelade erfreut – schmeckt ganz ausgezeichnet zu Kaiserschmarrn und Pilzgerichten!

Dass die Tage nun schon kürzer und die Nächte kälter werden, spüren wir sehr deutlich: Wir können nun nicht mehr so lange wandern wie unsere Beine dazu aufgelegt sind, sondern müssen unseren Wanderrhythmus schön langsam an das verfügbare Tageslicht anpassen. Gegen 20 Uhr geht jetzt die Sonne unter – idealerweise haben wir um diese Uhrzeit schon unser Zelt aufgeschlagen und sind bereits dabei abendzuessen. Dass wir nun wieder wirklich dunkle Nächte erleben, bedeutet aber auch, dass wir in klaren Nächten den Sternenhimmel bewundern können und eine Chance darauf haben, Nordlichter zu sehen… Auch die erste Frostnacht haben wir bereits erlebt – allerdings nicht im Zelt, sondern in einer gemütlichen Hütte. Als wir morgens um 7 Uhr rausgegangen sind hatte es -3 Grad und die Wiese vor der Hütte war mit Raureif überzogen. Als wir etwa zwei Stunden später aufgebrochen sind, hatte die Sonne aber schon wieder alles weggeschmolzen und es hatte deutliche Plusgrade.

Dieser Abschnitt unserer Wanderung war für uns richtiges Genuss-Wandern. Der Genuss uns fit zu fühlen und bei herrlichem Wetter durch beeindruckend schöne Landschaft zu wandern. Die klare Herbstluft einzuatmen. In der Sonne zu sitzen, Kaffee zu trinken und Kuchen zu essen. Heidelbeeren zu naschen. Uns die Sonne ins Gesicht scheinen zu lassen. Abends ein kleines Lagerfeuer zu machen. Rentiere zu bewundern. Uns eine gemütliche Nacht in einer warmen Hütte zu gönnen. Zusammen zu sein.

Ganz ehrlich wären wir allerdings nicht, wenn wir behaupten würden, dass dieser Abschnitt durchwegs nur Genuss war. Der Herbst hat freilich auch unfreundlicheres Wetter gebracht und es gab Tage, an denen wir nicht mehr wussten, wie sich trockene Füße anfühlen. Für ein paar Tage hat uns außerdem ein Schnupfen erwischt, der die Wanderfreude etwas gedämpft hat. Aber die Herausforderungen dieser Etappe haben wir zusammen gemeistert und es werden vor allem die unzähligen Genuss-Momente in Erinnerung bleiben.

Während dieser Etappe haben wir außerdem besonders viele freundliche und nette Begegnungen erlebt. Begegnungen in der weiten, schwedischen Natur sind immer etwas Besonderes. Wenn man nur wenige Menschen während eines ganzen Tages trifft – manchmal sogar nur einen einzigen, dann hat man selbstverständlich Zeit für jede dieser Personen. Und eine besondere Freude ist es, wenn man durch so eine Zufallsbegegnung eine gleichgesinnte, freundliche, fröhliche, naturverbundene, interessante, beeindruckende, vielfältige Person kennenlernt. So wie Paul, der gerade sein Abitur hinter sich gebracht hat und wie wir Gröna Bandet geht, keinen Umweg scheut und begeistert von steilen Abhängen berichtet. Oder Michael, ebenfalls mit viel Elan unterwegs und ebenfalls ein Gröna Bandet Wanderer – aber 50 Jahre älter als Paul. Oder das freundliche ältere schwedische Paar, mit dem wir am Wegesrand über die schwedischen Wahlen und die österreichischen Voralpen plaudern. Oder der dänische Psychologieprofessor, mit dem wir eine Hütte teilen und der uns Wanderlieder vorsingt, die er in seiner Jugend in Österreich gelernt hat. Oder eine junge Mathematik-/Informatik-Studentin, die mit beachtlicher Konsequenz und Ausdauer alleine den Kungsleden wandert. Einfach schöne Begegnungen am Weg.

Wie schon auf der vorigen Etappe sind wir auch diesmal nicht zur Gänze dem Kungsleden gefolgt, sondern haben unseren eigenen Weg gewählt. Diesmal sind wir ein Stück auf den Vindelvaggileden ausgewichen. Dieser folgt dem Vindelälv durch ein sanftes Birkenwaldtal. Der Vindelälv ist einer von vier Nationalflüssen Schwedens, ein Status der ihn vor Regulierung und der Nutzung zur Stromerzeugung schützt. Entlang des Weges gibt es kleine, gemütliche Hütten, die vom Land Västerbotten errichtet wurden. Ein Bericht über diese Hütten war auch der Grund, warum wir auf den Weg aufmerksam geworden sind. Auch landschaftlich haben wir diesen kleinen Umweg sehr genossen: herbstliche Birkenwälder, ein breiter, wilder Fluss und einsame Pfade.

Wie geht es weiter? Es liegen noch grob 1000 Kilometer vor uns bis zu unserem Ziel Mora. Der einsetzende Herbst in den letzten Wochen hat zum ersten Mal auch etwas Zweifel in uns geweckt. Wie wird nun das Wetter werden? Waren wir zu langsam unterwegs und sollten wir schon weiter im Süden sein? Was, wenn uns ein Wintereinbruch zum Aufgeben zwingt? Wir haben in den letzten Tagen viel über diese Zweifel und Fragen geredet, uns Szenarien durchgedacht und Pläne zurechtgelegt. Nachdem wir diese Möglichkeiten besprochen haben, fühlen wir uns nun bereit für die nächsten zwei Monate und 1000 Kilometer. Wir haben in Hemavan unsere Ausrüstung für widrigeres Wetter angepasst, wir haben flexible Pläne, die uns erlauben auf das Wetter zu reagieren und – vor allem – wir sind voll motiviert unser Ziel zu erreichen! Vor uns liegt eine Herausforderung, wir freuen uns! Weiter Richtung Süden!

4 Gedanken zu „Expedition Kanelbullar: Kvikkjokk bis Hemavan“

  1. Liebe Mimi, lieber Martin, ich bin unglaublich stolz auf euch und freue mich mit euch, dass ihr bereits einige Meilensteine erreicht habt! Wie jedes Mal lese ich euren Blog mit Begeisterung!

    Für die nächsten (man weiß ja nie, was danach noch kommt :P) 1000 Kilometer wünsche ich euch weitere besondere Begegnungen und eine Vielzahl an Genussmomenten, die die nassen Füße und grauen Tage verblassen lassen! 🙂

    1. Liebe Anna! Deine Worte fühlen sich für uns an wie ein frisch gebackenes Kanelbullar – du kannst dir hoffentlich vorstellen wie sehr wir uns über deinen Kommentar freuen! 😉 Die Zeit fürs Genießen nehmen wir uns unterwegs wirklich (und gehören deswegen auch nicht gerade zu den schnellsten Weitwanderern…) – eine trockene Pause im Tarp, frischer Kaffee, eine improvisierte Nachspeise oder ein fauler Hüttenvormittag machen das Wandern auch bei Schlechtwetter zu einem schönen Erlebnis. Das Pausen-Machen und Genussmomente-Einbauen ist definitiv auch etwas was wir uns für den Post-Abenteuerjahr-Alltag mitnehmen wollen. Hoffentlich gibt es dann auch einige solche Momente mit dir zusammen!

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