Expedition Kanelbullar: Abisko bis Kvikkjokk

Wenn man von Abisko nach Kvikkjokk wandern will, ist es eigentlich naheliegend dem Kungsleden zu folgen. Wir hatten aber einen anderen Plan: nach ein paar Tagen am Kungsleden nach Westen in Richtung Ritsem abbiegen und von dort den Sarek-Nationalpark durchqueren. Denn von einer Wandertour durch Sarek träumen wir schon lange.

Sarek gilt als der wildeste Nationalpark Schwedens, es gibt dort weder Hütten noch markierte Wege und mit wenigen Ausnahmen auch keine Brücken über Flüsse, dafür umso mehr wilde Tiere und unberührte Natur. Gekommen ist es dann allerdings etwas anders: Nach 2,5 Tagen in Sarek mussten wir abbrechen und sind stattdessen über den Padjelantaleden nach Kvikkjokk gewandert.

Auf dieser zwei Wochen und insgesamt 287 km langen Etappe haben wir gut ausgebaute und stark frequentierte Wanderwege, aber auch einsame Pfade und Querfeldeinabschnitte erlebt. Wir haben viel gezeltet und ab und zu in STF-Hütten sowie in Hütten der Samischen Touristenorganisation übernachtet. Inzwischen wirkt es so als würde sich der Sommer langsam einem Ende zuneigen: es hat deutlich abgekühlt (Tagestemperaturen um die 5-10 Grad) und wir haben einiges an Regen abbekommen, auf den Berggipfeln gibt es nun schon ersten Neuschnee (ab ca. 1400m) und die Blätter beginnen sich schon zu verfärben… Übrigens, auf unseren Fotos ist das Regenwetter meist etwas unterrepräsentiert – das liegt schlicht und einfach daran, dass wir unserer Kamera nicht allzu viel Regen zumuten wollen!

Abisko bis Kvikkjokk, 12. August bis 26. August

Ein Stück Kungsleden

EIn Abisko beginnt der bekannteste Wanderweg Schwedens, der Kungsleden. Das erste Stück südlich von Abisko ist darüber hinaus der populärste Teil des Kungsleden. Schon in Abisko hören wir von vielen Wanderern, dass dieses Stück „überlaufen“ ist. Kurz überlegen wir unsere Route etwas abzuändern und einem weniger begangenen Weg in Norwegen zu folgen. Aber schließlich bleiben wir doch bei unserem Plan, wir wollen dieses Stück Kungsleden, das uns im Winter so gut gefallen hat und das wir auch schon vor vier Jahren gewandert sind, noch einmal erleben.

Hier waren wir wohl im Winter unterwegs, auch wenn die Landschaft kaum wiederzuerkennen ist.

Tatsächlich merken wir sofort, wie sich der Charakter unserer Wanderung ändert. Statt den bisher eher seltenen Begegnungen mit Menschen treffen wir unterwegs nun etwa 50 Wanderer täglich, oft auch größere Gruppen. Das ist einerseits nicht besonders viel, wenn man es mit den Alpen in Österreich vergleicht. Andererseits ist es nun nicht mehr möglich sich mit allen zu unterhalten, die man unterwegs trifft, und man muss ab und zu Entgegenkommenden Platz machen – unerwartet nach der weiten, leeren Landschaft, in der wir bis jetzt unterwegs waren. Auch ist der Weg nun sehr gut markiert und ausgebaut, alle Sümpfe sind mit Holzwegen überbrückt und selbst über kleinere Bäche führen Brücken. An einigen Stellen bekommen wir den Eindruck, die Natur leidet unter den vielen Menschen: Wir ärgern uns immer wieder über zurückgelassenes Klopapier und anderen Müll, Schäden an Bäumen und desolate Lagerstellen.

Zeltplatz bei der Sälka-Hütte

Insbesondere bei den Hütten merkt man die Überforderung mit der wachsenden Beliebtheit. Obwohl in den letzten Jahren die Kapazitäten ausgebaut wurden, funktioniert das schwedische System, das auf Freiwilligenarbeit, Vertrauen und Mithilfe von allen beruht, bei so vielen Leuten nicht mehr gut. Gut 100 Personen unterschiedlichster Nationalitäten schlafen und kochen jede Nacht bei den Hütten, für die Hüttenwarte ist es keine leichte Aufgabe dieses Gewurl zu koordinieren! Aber auf der anderen Seite ist es schön zu sehen, dass hier auch Menschen unterwegs sind, die keinen Abenteurer-Klischees entsprechen: ein etwas beleibter Programmierer, eine Pensionistin mit viel Zeit, junge Familien, ältere Paare. Beim Kochen und in Rasthütten ergeben sich viele nette Gespräche. Wenn man dann noch die großartige Bergkulisse dazunimmt, überwiegt klar das Positive: freundliche Menschen und schöne Natur. Wir sind glücklich dieses Stück Kungsleden sowohl im Winter als auch im Sommer erlebt zu haben.

Als wir nach 3,5 Tagen den Kungsleden verlassen und in ein Seitental abbiegen, sind wir mit einem Schlag wieder alleine unterwegs. Auf dem restlichen Weg bis Ritsem sind wir oft stundenlang alleine unterwegs. Auch wenn uns der populäre Kungsleden gut gefallen hat, sind wir nun froh die Natur wieder in Stille genießen zu können.

Ein kurzes Sarek-Abenteuer

Nach zwei Tagen abseits von markierten Wegen im Sarek-Nationalpark beschließen wir schweren Herzens umzudrehen und wieder in Richtung „Zivilisation“, zu einer bewirtschafteten Hütte am Padjelantaleden, zurückzukehren. Lasst uns kurz den Moment beschreiben, als wir diese Entscheidung getroffen haben:

Starker Regen lässt die Flüsse anschwellen.

Wir haben soeben den Nijakjågåsj-Fluss überquert und sind froh heil am anderen Ufer angekommen zu sein. Das Wasser war eiskalt und das Furten durchaus anspruchsvoll: Der Fluss führt trübes ca. 5 Grad kaltes Gletschwerwasser, sodass man nicht auf den Grund sehen kann. Langsam müssen wir uns mithilfe unserer Wanderstöcke vorantasten, es ist nicht einfach einen geeigneten Weg zu finden und wir kämpfen gegen die teils starke Strömung an. Während dem Furten hat es auch wieder begonnen stark zu regnen und es sind nun nicht nur unsere Füsse zu Eiszapfen gefroren, sondern auch unsere Finger ganz klamm. Zitternd ziehen wir uns die „Wat-Schuhe“ aus und schlüpfen wieder in Wanderschuhe, die zwar auch nass, aber immer noch wärmer sind. Unsere Füße brennen richtig vor Kälte und wir können nicht konzentriert denken, aber wir müssen uns nun entscheiden. Gehen wir nach links weiter, weiter hinein nach Sarek und folgen unserem Plan, oder biegen wir nach rechts ab und gehen in Richtung Kisuris-Hütte? Gestern hat uns eine schwierige Furt herausgefordert und es hat bei unbarmherzigen Schüttregen und Sturm einige Stunden im Schutz unseres Zeltes gedauert, bis sich unsere Füße wieder einigermaßen warm angefühlt haben. Wenn das Wetter so schwierig bleibt, können wir dann die nächsten 5-6 Tage durchhalten? Wir lassen unsere Füße, die sich nach Trockenheit und Wärme sehnen, entscheiden und biegen nach rechts ab.

Dieses Bild fasst die Sarek-Lage ganz gut zusammen: eiskalt, nass und windig. Sollte das nicht eigentlich auch Spaß machen?

Auf dem Weg zur Kisuris-Hütte bessert sich das Wetter allmählich und es kommt sogar die Sonne heraus. War es wirklich nötig umzukehren oder hätten wir einfach noch eine Weile durchbeißen müssen? Wir ärgern uns und sind enttäuscht, unseren Traum vom Wanderabenteuer in Sarek heuer nicht erfüllen zu können. Aber unser Ziel noch bis Mora weiterzugehen – und den Weg dorthin zu genießen – ist uns wichtiger. Wir werden auf jeden Fall ein andermal wiederkommen und uns dann mehr Zeit für ein Kennenlernen von Sarek nehmen.

Padjelantaleden: ein schönes Alternativprogramm

Schon nach wenigen Wanderkilometern vertröstet uns der schöne Padjelantaleden mit unserer Entscheidung, Sarek den Rücken gekehrt zu haben. Unser Alternativprogramm gefällt uns richtig gut! Der insgesamt 140 Kilometer lange Wanderweg führt durch den gleichnamigen Nationalpark – „Padjelanta“ ist samisch und bedeutet „das hohe Land“. Hier ist seit ca. 10 000 Jahren, seit das Eis der letzten Eiszeit verschwunden ist, die Heimat der Rentiere und fast genauso lang leben Samen schon hier. Der Wanderweg führt durch die Frühjahrs- und Sommerweidegebiete der Rentiere durch und wir haben einmal wieder das Glück unzählige dieser schönen Tiere unterwegs zu treffen.

Die Landschaft hier ist nicht so dramatisch wie in Sarek, die Berge sind weniger hoch und weniger steil, die Täler nicht so eng und es gibt nicht ganz so viele Gletscher. Dafür ist hier Platz für riesige Seen, dichte Birkenwälder mit Unmengen an Pilzen, grüne Berghänge, felsige Hochplateaus mit unzähligen kleinen Seen und einer fantastischen Aussicht auf die verschneiten Berggipfel in Sarek. Für sechs Tage kommen wir in den Genuss eines sehr gut ausgebauten Wanderweges – regelmäßige Markierungen, Holzplanken-Steige durch Sümpfe, Hängebrücken über rauschende Flüsse und nette Hütten in Tagesabständen – und freuen uns trotz kalt-nassem Wetter flott und vergnügt voran zu kommen.

Wie geht‘s weiter?

Ab Kvikkjokk wandern wir wieder auf vertrauten Wegen und folgen bis Hemavan etwa 240 km lang dem Kungsleden. Wir freuen uns schon die Landschaft, die wir diesen Winter auf Skiern durchquert haben, nun wandernd im Herbst wieder zu sehen und den Hütten am Weg wieder einen Besuch abzustatten. Für die nächsten Tage verspricht der Wetterbericht außerdem schönes Herbstwetter!

4 Gedanken zu „Expedition Kanelbullar: Abisko bis Kvikkjokk“

  1. Liebe Grüße aus einem kühlen Wien, nach vielen heißen Tagen!!!!
    Letzte Woche machten wir eine zweitägige Wanderung in den Gutensteiner Alpen. (bis zu 34 Grad Celsius). Natürlich haben wir viel von euch gesprochen und waren in Gedanken bei euch.
    Info: Saalbach + Hinterglemm von der Außenwelt angeschnitten. Die Straße ist auf ca. 50m vom Hochwasser weggerissen worden.
    Schöne Zeit und Busserl von Gabi

  2. Liebe Grüße auch von mir, aus dem wieder etwas weniger kühlen Wien!
    Ich erfreue mich immer wieder an Euren Bildern und Schilderungen, die Unannehmlichkeiten wie Kälte, Regen, Sturm, blaugefrorene Beine nach dem Durchqueren eines Gletscherflusses will ich mir allerdings nicht ausmalen, auch wenn Ihr sie wie einen kleinen Gelsenstich schildert ….
    Dass der Mensch, sobald er in größerer Zahl auftritt, nicht in der Lage ist, auf unberührte Natur Rücksicht zu nehmen, ist wiederum mehr als traurig.
    Gutes Weiterwandern wünscht Euch
    Brigitte

    1. Ja genau, Sarek bleibt auf jeden Fall auf unserer Wunschliste. Also falls du mal Lust auf eine nasse, wilde Wanderung hast… 🙂
      Wahlrecht haben wir uns noch keins erwandert, weder Mimi noch ich. Apropos, Briefwahl gibt es hier nicht. Hüttenwarte in entlegenen Gebieten können also teilweise gar nicht wählen.
      LG Martin

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