Eis, Schnee und Kanelbullar – Kungsleden Teil 3

Wir haben‘s geschafft, wir sind bei der Fjällstation in Kvikkjokk angekommen. Das ist für uns ein richtiger Meilenstein, denn der 5-tägige Abschnitt, der nun hinter uns liegt, war der für uns herausforderndste Teil des Kungsleden – denken wir zumindest. Auf der Etappe zwischen Jäkkvik und Kvikkjokk gibt es nämlich keine einzige Hütte und somit waren wir darauf vorbereitet auf den 100 km, die die beiden Ortschaften voneinander trennen, vier Mal in Folge zu zelten. Das ist insofern eine besondere Herausforderung, da man so keine Möglichkeit hat unterwegs kalte Schuhe aufzuwärmen oder nasse Sachen zu trocknen. Insbesondere nasse Schlafsäcke können ein Problem werden, da die warme Atemluft und die kalte Umgebungsluft fast unweigerlich dazu führen, dass sich in der Nacht auf den Schlafsäcken Kondenswasser bildet.

Dieser Abschnitt ist auch im Sommer einer der am wenigsten frequentierten Teile des Kungsleden und somit waren wir auf Einsamkeit, pures Naturerlebnis und Wildnis eingestellt. Tatsächlich haben wir diesen Abschnitt aber etwas anders erlebt, als wir ihn uns vorgestellt hatten. Erwartungsgemäß war er durchaus eine sportliche Herausforderung mit langen Tagen (im Durchschnitt 20 km/Tag) und einigen ordentlichen Anstiegen. Doch unsere Erwartung von einsamer Natur wurde etwas enttäuscht durch die vielen, vielen Scooter die uns begegnet sind. Insbesondere an den ersten zwei Tagen in der Umgebung von Jäckvik war einfach gesagt die Hölle los – sicher verstärkt durch das Osterwochenende.

Martin auf einer Scooter-Autobahn

Die letzen Tage wiederum sind wir – wie sonst auch – nur wenigen Scootern begegnet. Eine weitere Überraschung war, dass aus vier erwarteten drei tatsächliche Zeltnächte geworden sind. Denn in der Rasthütte, bei der wir am letzten Tag zelten wollten, war es erlaubt zu übernachten – und in einem kleinen Ofen konnte man sogar Feuer machen. Die vielleicht größte Überraschung war aber das riesige Glück, dass wir in diesen Tagen mit dem Wetter hatten: strahlende Sonne, warme Tage, Mittagspausen entspannt in der wärmenden Sonne, sogar unsere Schlafsäcke konnten wir in der Sonne trocknen.

Unser Zeltleben

Keine Zeltnacht glich bisher einer anderen, aber ungefähr so sieht unsere tägliche Zeltlebenroutine aus: Uns für einen geeigneten Zeltplatz entscheiden. Warme Daunenjacken anziehen. Ausgewählten Zeltplatz mit den Skiern flachtrampeln. SPOT-Nachricht (SPOT ist ein Satelliten-Notsender) mit unserer Position abschicken (diese erreicht Martins Bruder und Mimis Cousine – so wissen unsere Familien, wo wir sind und dass alles in Ordnung ist). Zelt aufbauen. Zeug aus der Pulka ins Zelt schaffen, Rucksack hineinlegen. Während einer das Zelt noch zusätzlich mit Skiern und Stöcken verankert, beginnt der andere das Zelt einzurichten. Ordnung schaffen, Isomatten aufblasen, kälteempfindliche Ausrüstung in einen Schlafsack legen. Kuschelhose und Zeltpatschen anziehen. Wasser für Tee uns fürs Frühstück wärmen. Abendessen kochen. Währenddessen Tagebuch schreiben, eventuell lesen. In den Schlafsack gekuschelt essen. Zusammenräumen, Kontaktlinsen rausgeben, Zähne putzen. Raus aufs Klo. Ab in die Schlafsäcke, zusammenkuscheln, gute Nacht.

Am nächsten Morgen wird erstmal Kondenswasser abgewischt. Dann müssen wir meist raus aus dem Zelt zu dem am Vortag zugewiesenen „Kloplatz“. Zurück in den Schlafsack, frühstücken. Wasser für untertags kochen (ca. 4 Liter, das dauert eine gute Stunde) und währenddessen zusammenpacken. Mittagessen und Snacks für unterwegs zusammenpacken. Raus aus den Schlafsäcken, raus aus dem Zelt, rein in die kalten Schuhe. Pulka packen, Zelt abbauen. Eventuell Felle auf den Skiern wechseln. Raus aus den Daunenjacken. Brr, kalt, jetzt müssen wir los. Nach 10-30 Minuten (je nach Temperatur) ist uns aber wieder warm.

Kaffeepause mit einem Einheimischen

In Västerfjäll, einem kleinen Ort, der im Winter nur per Schneemobil oder Ski, im Sommer nur per Boot oder zu Fuß erreichbar ist, wollten wir versuchen unsere Wasserflaschen aufzufüllen um uns das mühselige Schneeschmelzen zu ersparen. Beim ersten Haus, vor dem ein Scooter steht, klopft Mimi an und fragt nach Wasser. Ein freundlicher Mann um die 40 macht auf und antwortet: „Kein Problem. Dort drüben, in dem Haus mit der Fahne habe ich Wasser. Fahrt schon einmal voraus, ich komme gleich nach.“ Das Haus, bei dem wir angeklopft haben, ist noch eine Baustelle – er ist nämlich gerade dabei es komplett zu renovieren. Das Haus ist das älteste des Dorfes und wurde 1880 errichtet.

Västerfjäll, im Vordergrund der Glockenturm der Kapelle

Als wir bei seiner Ein-Zimmer-Hütte ankommen, stellen wir fest, dass es dort auch kein fließendes Wasser gibt – es muss mit Kanistern aus dem See geholt werden. Trotzdem teilt er seinen kleinen Wasservorrat bereitwillig mit uns und wir plaudern etwas über den Ort und den Weg, der vor uns liegt. Als wir schon wieder am Aufbrechen sind, meint er, etwas entschuldigend: „Hätte ich Kaffee fertig gehabt, hätte ich euch natürlich einen angeboten.“ Dann unterbricht er sich auch schon selbst: „Wobei, solange dauert das ja nicht Kaffee zu kochen… Wollt ihr einen?“ Wir zögern etwas, denn es ist schon 18 Uhr und wir müssen noch etwas aus dem Ort rausfahren um nach einem Zeltplatz zu suchen… Völlig richtig stellt er aber fest: „Es ist schwer zu Kaffee nein zu sagen, oder?“

Als wir Västerfjäll verlassen, ist die Sonne schon am untergehen

Bei einer Tasse heißem Kaffee erzählt er uns von der Geschichte der Siedlung, dem Wechsel der Jahreszeiten, dem harten Leben der Bauern, die hier gelebt haben, von Bären, Fischen und Mücken. Man merkt, dass er sich hier zuhause fühlt, auch wenn er nur ein paar Wochen im Jahr in Västerfjäll verbringt. Die letzten permanenten Bewohner – die Großeltern der Frau unseres Gastgebers – haben den kleinen Ort in den 80er Jahren verlassen. Wir verlassen Västerfjäll mit Dankbarkeit und dem Gefühl, eine besondere Ecke Schwedens und einen besonderen Menschen kennengelernt zu haben.

Vorfreude

Wir haben inzwischen mehr als 400km auf Skiern zurückgelegt und sind seit mehr als einem Monat unterwegs. Wir sind zuversichtlich, dass wir Abisko, also den Endpunkt des Kungsleden, erreichen werden. Unsere Gedanken schweifen auch schon weiter in die Ferne und unsere Vorfreude auf den Frühling wird immer größer. Blumen, zarte Blätter, grüne Wiesen. Wärme, auch wenn wir nicht in Bewegung sind (bergauf ist uns mitunter sogar zu heiß). Mimis Cousine Ida und ihre Familie wiedersehen. In einem Doppelbett schlafen. In einer richtigen Küche kochen. Kanelbullar backen. Auf die Insel kommen, in der Sonne sitzen. Kaffee trinken. Obstsalat essen. Stricken. Ein bisschen faul sein und einfach nur aufs Meer schauen. Besuch von Freunden bekommen. Barfuß über die Felsen gehen. Wird es wirklich einmal so warm? Schwer vorzustellen….

Wie geht‘s weiter?

Der nächste Abschnitt ist relativ kurz und führt uns in vier Tagen zur Fjällstation Saltoluokta. Unterwegs gibt es drei STF-Hütten, in denen wir uns schon freuen zu übernachten. Auch werden wir wieder mehr Skifahrer treffen, denn in den letzten 2 Wochen haben wir nur zwei – Schwedinnen – getroffen. Wir werden östlich am Nationalpark Sarek vorbeifahren, der oft als die letzte „echte Wildnis“ Schwedens bezeichnet wird (aber tatsächlich gibt es deutlich weniger besuchte Gebiete in Schweden, die allerdings landschaftlich nicht so attraktiv sind). Im Sommer wollen wir durch Sarek wandern und sind schon gespannt einen ersten Blick in dieses Gebiet werfen zu können.

 


Übersicht Serie „Eis, Schnee und Kanelbullar“:
[ Die ersten zwei Wochen | Kungsleden 1 | Kungsleden 2 | Kungsleden 3 | Kungsleden 4 | Kungsleden 5 | Kungsleden 6 | Zusammenfassung | Proviant | Ausrüstung ]

Ein Gedanke zu „Eis, Schnee und Kanelbullar – Kungsleden Teil 3“

  1. Danke für Eure regelmäßigen Berichte samt den Prachtbildern! ich gewinne den Eindruck, dass Ihr nahezu nur sonnige Tage erlebt, das ist erfreulich! Die Scooter-Geschichte klingt weniger erfreulich, als Scooterfahrer ist man sicher zufrieden, in sonst unerreichbare, weil zu entlegene Gegenden zu kommen (ich würde vermutlich auch nicht nein sagen …;-)), als Scooter-Belagerte habt Ihr wohl gelegentlich geflucht (leise, innerlich….).
    Schöne Fortsetzung und danke für jede weitere Folge Eures Tagebuchs…

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert